Netzwerke sind die neue Hierarchie? Schön wär‘s! Unternehmen brauchen Hierarchien auch in Zeiten von „New Work“ – und bauen sie trotzdem ab.„New Work“ ist ein Versprechen, anders zu arbeiten. Es steht für vernetztes und selbstbestimmtes Arbeiten, in dem Hierarchien zerbröseln und Chefs überflüssig werden.
Oder auch nicht. Das merken viele Unternehmen, die auf New Work setzen. Sie versprechen sich Tempo und Agilität, motiviertere und leistungsbereitere Mitarbeiter, eine erhöhte Reaktions- und Anpassungsgeschwindigkeit und damit einen Vorsprung in sich rasch verändernden Märkten. Was sie stattdessen oft kriegen, sind „chaotische Formen der Zusammenarbeit“, sagt Heike Bruch, die als Professorin für Leadership das Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen leitet. Das ebenso unerwartete wie erschreckende Ergebnis: Die Leistung sinkt, viele Mitarbeiter sind auf dem Absprung.
Vernetztes Arbeiten ohne vertraute Strukturen eignet sich offenbar nicht immer und überall. „Es sollte genau geprüft werden, wo klassische und wo netzwerkartige Arbeitsformen im Unternehmen angemessen sind“, sagt
Expertin Bruch. „Wann braucht es agile Methoden und wann klare Zielvorgaben?“
Sind die Mitarbeiter bereit für New Work?
Hierarchien zerbröseln nicht von selbst. Schon gar nicht, wenn alle plötzlich von
Agilität reden und daraufhin Kollegen in neuen abteilungsübergreifenden Teams zusammensetzen. Mit der Ansage: „Nun macht mal!“ Was sollen sie denn machen? Und: Wollen sie überhaupt? Wer sich von Vorgesetzten eingeschränkt und bevormundet fühlt, findet New-Work-Versprechen attraktiver als Kollegen, die klare Ansagen – sprich: Hierarchie – bevorzugen. Solche Menschen in „New Worker“ zu verwandeln, ähnele dem Versuch, Stallhasen auszuwildern, sagt der Organisationscoach
Markus Väth. „In seiner Box macht dem Stallhasen keiner was vor (und andere Hasen sollen sich gefälligst aus seiner Box heraushalten). Doch in der freien Wildbahn könnte er keine zwei Tage überleben.“
Bei
New Work werden Regeln gemeinsam festgelegt, starr sind sie nie. Sie werden – so die Idee – immer so justiert, dass Prozesse optimal laufen. Das ist eine bewusste Abkehr vom Pyramidenmodell, wo Verantwortlichkeiten und Aufgaben von oben bis unten fein säuberlich durchdekliniert sind. Wer hat das Sagen, wer muss zuhören: alles festgelegt. Dieses Modell hält sich seit Jahrhunderten, denn es funktioniert, und das ausgesprochen gut. Warum es also ändern? „Märkte und damit Geschäftsmodelle ändern sich schneller als jemals zuvor“, sagt Unternehmensberater
Markus Baumanns im Gespräch mit TAlking Future. Wer sich darauf in der internen Zusammenarbeit nicht einstellen kann, werde es schwer haben. „Auf Tempo und den Umgang mit Unsicherheit ist die klassiche Hierachie nicht eingestellt.“ Und dann wird das Unternehmen mit seiner erprobten Pyramide gleichwohl vom Markt gefegt.
Zweigleisig fahren
Einige Unternehmen finden einen scheinbaren Ausweg aus der Misere: zweigleisig fahren. Für das normale Geschäft setzen sie auf die vertrauten Hierarchien, während die New Worker ausgelagert werden. Anderer Standort, andere Zusammenarbeit, anderes Tempo. Ohne bürokratische Bremsen können die New Worker in „Hubs“ (die manchmal anders heissen) richtig Gas geben, vernetzt und selbstbestimmt. Das klappt meist super – bis die beiden Gleise aufeinandertreffen, weil die Erkenntnisse aus dem Hub eingespeist werden sollen in das „normale“ Unternehmen. Dann knirscht’s, Frust ist unvermeidbar.
Das gilt für beide Seiten. Man dürfe die Beharrungs-, Selbstselektions- und Konformitätskräfte von Unternehmen nicht unterschätzen, sagt der Unternehmensberater Matthias Meifert, und nicht vergessen, „dass Organisationen nach wie vor
Machtgebilde sind“. Es sind die mächtigen Vorgesetzten, die sich offen fürs Neue zeigen müssen. Es brauche „offene Arme“, sagt Meifert. Diese Arme werden immerhin seltener abwehrend vor der Brust verschränkt, denn bei den Unternehmen ist angekommen, dass sie schnellere Prozesse brauchen, ohne 36 Abstimmungsschleifen und „Cover your ass“-Bedenkenträgerei. Erster Schritt: Die Pyramide wird flacher.
Flache Hierarchien sorgen für Tempo
Revolution geht anders, stimmt, aber das muss ja nicht gegen flachere Hierarchien sprechen. Es ist der verständliche Versuch, bewährte Modelle fit zu machen für eine neue Zeit. Erste Indizien vermitteln ein positives Bild: 61 Prozent der Firmen mit weniger Hierarchiestufen bringen aus Sicht ihrer Mitarbeiter besonders gute Ideen hervor, besagt eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum und der Jobbörse StepStone. Dieselbe Studie identifiziert zugleich die Bremser bei diesem Prozess: Zwei Drittel der befragten Fachkräfte halten ihre Führungskraft nicht für fit für die Herausforderungen der Zukunft, da sie Führung nicht als Dienstleistung am Team sieht. „Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Führungskräfte“, sagt Kienbaum-Geschäftsführer Walter Jochmann, „und der von den Mitarbeitern erlebten Realität von
Führung im Arbeitsalltag.“
So richtig flach wird die Pyramide nie, trotz allen Wandels und Aufbruchs. Wer lieber in Netzwerken ohne starre Hierarchien arbeitet, wird in klassischen Unternehmensstrukturen nie glücklich werden. Die gute Nachricht: Anders als früher gibt es Alternativen. Mal sehen, wie die sich entwickeln.