Der technologische Fortschritt macht es möglich: Angestellte sind immer und überall zu erreichen. Aber was passiert, wenn Beschäftigte stur darauf beharren, das Private habe Vorrang?
Babyboomer definieren sich häufig über ihren Beruf und hängen sich daher voll rein. Gut für ihre Arbeitgeber, doch allmählich kommen die Boomer ins Sixtysomething-Alter, der Typus „Workaholic“ geht in Rente. Ihre Rolle als eifrige Arbeitsbienen übernehmen sollen eigentlich die Millennials, also die Jahrgänge zwischen 1980 und 2000. Angeblich vermengt diese Generation Y bereitwillig private und berufliche Interessen zu einem Work-Life-Blending und ist pfadfinderhaft „allzeit bereit“. Wer als Arbeitgeber spannende Aufgaben und flexible Arbeitszeiten anzubieten hat, das haben Personaler gelernt, darf sich über leistungsbereite und -fähige Millennials freuen.
Doch die Personaler müssen umlernen. Weil die Millennials dazulernen. Ja, die Arbeit soll Spass machen und den persönlichen Interessen entsprechen – dieses Klischee über die Generation Y stimmt weiterhin. Doch wenn beim Work-Life-Blending ganz flexibel ständig die Arbeit auf Kosten des Privaten gewinnt, verliert der Mix viel von seinem Charme. Die Folge: Die Millennials verstehen immer besser, warum ihre Vorgänger aus der Generation X so viel Wert legen auf Work-Life-Balance und beides sauber getrennt haben wollen.
Flexibilität: von der Euphorie zur Ernüchterung
Die Millennials haben sich verlocken lassen vom Versprechen einer zuvor nie möglichen Flexibilität. Neue Technologien erlauben es, jederzeit und überall zu arbeiten – und Pausen einzuschieben. Arztbesuche? Kinder abholen? Bei Ikea shoppen? Lässt sich alles einrichten! Das war das Versprechen. Die Realität hingegen ist gepflastert mit Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, abendlichen Videokonferenzen und – hey, nur virtuellen! – Meetings am Wochenende. So langsam stellt sich heraus: für sie ein schlechter Deal.
Von der Euphorie bis zur Ernüchterung hat es nur wenige Jahre gedauert. „Heute regiert Work-Life-Blending: ein Zustand, in dem Arbeit und Freizeit miteinander verschmelzen“, jubilierte die Wirtschaftswoche noch 2016. Schon damals allerdings, das zeigt eine Umfrage des Beratungsunternehmens von Rundstedt aus demselben Jahr, bewertete „die Mehrheit der Deutschen die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben kritisch“. 69 Prozent befürchteten, dass sich die Arbeit gegenüber der Freizeit durchsetzen würde.
Klare Grenzen für Arbeit und Privates gewünscht
Diese Skepsis hat sich bewahrheitet. Eine aktuelle
Capterra-Studie dokumentiert, dass die Hälfte der Angestellten Mails und Anrufe vor oder nach den offiziellen Arbeitszeiten beantwortet und auch am Wochenende arbeitet. „Das Konzept wird nur einseitig genutzt und führt zu einer Belegschaft mit permanentem Bereitschaftsdienst ohne Ruhezeiten“, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler
Christian Scholz schon vor Jahren und fragte provokant: „Was wird passieren, wenn die Mitarbeiter nicht bereit sind, in dieser schönen, neuen ,verblendeten‘ Arbeitswelt mitzuspielen?“
Gute Frage. Mit überzeugenden Antworten tun sich viele Arbeitgeber schwer und fallen damit zurück im Kampf um umworbene Fachkräfte. Die verlangen natürlich
Digital Workplaces, mit denen sie jederzeit und überall auf ihre Arbeitsunterlagen zugreifen können. Aber sie wollen nicht jederzeit und überall auf diese Dokumente zugreifen müssen.
Generation Z: erwachsene Haltung zu Technologien
Zum Glück drängt heute bereits die Generation Z auf den Arbeitsmarkt. Für die jungen Frauen und Männer der Jahrgänge ab 2000 sind die technologischen Innovationen, die das zeit- und ortsflexible Arbeiten möglich gemacht haben, seit Kindertagen selbstverständlich. Die Generation weiss zwar häufig nicht so genau, was sie eigentlich will. Allerdings können ihre Vertreter genau sagen, was sie nicht wollen: Überstunden, Wochenendarbeit und abendliche Anrufe und Mails. Mit ihrem schnöden „Nö!“ beweisen die jungen Digital Natives eine erwachsene Haltung zu der Technologie, die sie umgibt: Wir nutzen sie, aber wir lassen unser Leben nicht davon bestimmen.
Diesen Erkenntnisvorsprung der Generation Z holen ihre älteren Kolleginnen und Kollegen jetzt auf. Auch die Personalabteilungen sollten sich lösen vom Versprechen einer „Flexibilität“, das nicht überzeugend eingelöst werden kann. Mit anderen Worten: Work und Life werden neu ausbalanciert, für alle Jahrgänge.