Wie haben sich Arbeitgeber während der Corona-Pandemie verhalten? Offenbar nicht immer vorbildlich, sonst gäbe es keine so ausgeprägte Wechselwilligkeit. Zeit für Bleibegespräche.Die Zeichen stehen auf Aufbruch. „Viele Menschen wollen die Krise hinter sich lassen“, sagt
Tobias Zimmermann, Arbeitsmarktexperte der Online-Stellenbörse Stepstone. Vier von zehn Angestellten sind offen für einen neuen Arbeitgeber oder haben sogar mit der Jobsuche begonnen. Nicht alle, die mit einem neuen Job liebäugeln, werden tatsächlich kündigen. Doch könnten es, das zeigt ein Blick auf die USA, mehr Angestellte sein als erwartet. Seit dem Frühjahr 2021 haben in den Vereinigten Staaten mehr als 33 Millionen Menschen freiwillig ihre Kündigung eingereicht. Die Gründe für diese „Great Resignation“: schlechte Behandlung, unfaire Chefs, keine Entwicklungsmöglichkeiten. „Kaum ein Restaurant, Laden oder Fabriktor, an dem nicht ein ,Help Wanted‘-Schild hängt“, berichtet ZEIT-Kolumnistin
Heike Buchter. In den USA eilt die Zahl der offenen Stellen von einem historischen Höchststand zum nächsten.
„Was müsste passieren, damit ihr kündigt? Und wie verhindern wir das?“
Recruitee-Personalchefin Rebecca Clarke
Das sieht in Deutschland ähnlich aus: Fachkräfte werden in allen Branchen gesucht, und das zunehmend verzweifelt. Der Metallbauer Barghorn beispielsweise hat das Recruiting umgekehrt und bewirbt sich selbst: mit Lebenslauf und Zeugnissen von Barghorn-Beschäftigten. Die Bewerbung geht heraus an alle Frauen und Männer, die auf der Karriereseite des Unternehmens ihr Interesse an einem Job beim Metallbauer bekundet haben. „Die Marktmacht liegt beim Arbeitnehmer“, sagt Firmenchef
Gunnar Barghorn.
Also sollte man ihm zuhören. Genau deshalb führt Rebecca Clarke, Personalchefin des holländischen Softwareherstellers Recruitee, jeden Monat mindestens ein sogenanntes Stay-Interview, ein Bleibegespräch. Dabei geht es weniger darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Absprung abzuhalten. Clarke fragt ganz allgemein: „Was müsste passieren, damit ihr kündigt? Und wie verhindern wir das?“
Damit gar nicht erst Absprung-Gedanken auftauchen
So erfährt Clarke anhand einer konkreten Fragestellung, was gerade gut läuft im Unternehmen, und vor allem, wo es hakt und klemmt. Deshalb ist es wichtig, in solchen Bleibegesprächen offen mit Kritik umgehen zu wollen – und zu können. Wenn ein Mitarbeiter wirklich auf dem Absprung ist, müssten sich die Vorgesetzten hinterfragen: „Was habe ich dazu beigetragen, dass dieser Mitarbeiter nicht bleiben will? Habe ich zum Beispiel ein Versprechen gegeben und nicht eingehalten? Bin ich selbst mit meinen Aufgaben überfordert? Wie viel Zeit widme ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?“ Manchmal ist die Erkenntnis ernüchternd. Und manchmal wird aus einem Bleibe- doch ein Abschiedsgespräch. Etwa wenn das Unternehmen dem Mitarbeiter keine neue Perspektive geben kann oder die Zusammenarbeit so schlecht läuft, dass beide Seiten keine gemeinsame Zukunft sehen. „Dann muss man den Mitarbeiter gehen lassen, so schade und teuer es auch ist“, sagt Laurenz Andrzejewski,
Coach für Mitarbeiterbindung.
Das allerdings ist erst der letzte Schritt. Wer Bleibegespräche als „Was können wir besser machen?“-Gespräche nutzt und die Erkenntnisse auch umsetzt, signalisiert Interesse und Gestaltungswillen. Und darf dasselbe von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten. Denn die bleiben dann natürlich – warum sollten sie auch wechseln?