Länger als zwei Stunden am Tag sollte kein Chef für Führung aufwenden, sagt Unternehmerin Insa Klasing. Sie setzt auf Autonomie – damit ihre Mitarbeiter aufblühen können. Mit einem gebrochenen Arm kann man sich irgendwie noch behelfen. Sind beide Arme gebrochen, geht gar nichts mehr. Das merkte Insa Klasing, als sie sechs Wochen nach ihrem Reitunfall wieder in die Firma kam, den linken Arm in der Schlinge und den rechten in Gips. Sie konnte keine Tür öffnen, keine Tasche tragen, nichts notieren oder unterschreiben. Was sie allerdings konnte: wahrnehmen, dass sich in ihrer Abwesenheit einiges verändert hatte. Ihr Team wirkte wie beflügelt, es britzelte vor Energie. Ihre eigene Energie hingegen reichte gerade mal für zwei Stunden am Tag, höchstens. Insa Klasing ging nach Hause und dachte nach. Über Motivation. Über Autonomie. Über die Rolle von Chefs und den Sinn von Führung. „Ich musste – wortwörtlich – loslassen“, erzählt sie im
Podcast. „Etwas anderes blieb mir ja gar nicht übrig.“ Als Klasing ins Büro zurückkehrte, fing sie an umzusetzen, was sie sich überlegt hatte. „Im Delegieren war ich vorher schon gut“, sagte sie
BrandEins, „aber zwischen Delegieren und Loslassen fließt der Mississippi.“
Damals war Insa Klasing die Deutschland-Chefin von Kentucky Fried Chicken. Innerhalb von fünf Jahren hatte sie dort den Umsatz verdoppelt und fast so viele neue Restaurants eröffnet wie die Franchise-Kette in den 40 Jahren zuvor. Hinter ihr lag eine Karriere im Turbo: Studium in Oxford, zwei Jahre bei einer Unternehmensberatung, anschließend baute sie das Deutschland-Geschäft des Smoothies-Herstellers Innocent auf. Als sie 2009 als Deutschland-Chefin zu Kentucky Fried Chicken wechselte, war sie Anfang 30.
Führung? Zwei Stunden reichen
Mit 39 Jahren hat Insa Klasing ihr eigenes Unternehmen gegründet. TheNextWe heißt es und setzt auf digitales Coaching – per App. Ein Start-up, allerdings eines mit rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Chefin agiert weiterhin nur für zwei Stunden am Tag als Führungskraft und, oh Wunder, es funktioniert. „Ein Chef sollte nicht nach zwei Stunden nach Hause gehen und zum Frühstücksdirektor werden“, so Klasing im Gespräch mit dem
Deutschlandfunk. Stattdessen gehe es darum, als Führungskraft Zeit zu haben, um eine Vision für das Unternehmen zu entwickeln. Dazu kommt nicht, wer sich in der Rolle gefällt, den ganzen Tag über Brände zu löschen.
„Es geht darum, zwei Stunden Führung so zu gestalten, dass die Mitarbeiter selbstbestimmt arbeiten können“, so Insa Klasing gegenüber dem
Handelsblatt. Der Chef gebe das „Was“ vor, die Richtung, das „Wie“ sollen die Mitarbeiter selbst entscheiden. Sie sollen eigenständig priorisieren und Unnötiges weglassen können. Mit so viel Autonomie für ihre Angestellten täten sich Arbeitgeber meist schwer, sagt Klasing. Der Normalfall sei, „Menschen die Eigenverantwortung Schritt für Schritt abzugewöhnen“.
Ja zu Autonomie und Eigenverantwortung
Um zu vermitteln, dass es anders geht, braucht es Vorbilder. Insa Klasing versteht sich und TheNextWe bewusst als Vorbild und hat deshalb ein Buch über ihr Führungsverständnis geschrieben. „Der Zwei-Stunden-Chef“ heißt es. „Ich habe Zeit für die wirklich wichtigen Dinge“, steht dort, „und das macht meinen Job spannender und entspannter als jemals zuvor.“
Dafür braucht man kein Start-up zu gründen, das hat auch bei Kentucky Fried Chicken geklappt. Klasings radikal geänderter Führungsstil sorgte dort weder für Stillstand noch für Chaos. „Das Team startete voll durch, übernahm immer mehr Verantwortung und beschleunigte Innovationen“, schreibt Klasing. „Alle brachten sich mehr denn je ein und waren dabei motivierter als je zuvor.“